Psychologische Effekte – Warum bleiben wir nicht schockiert in der Pandemie und in der Klimakrise?

Das Corona-Virus und die Erkrankung Covid-19 hält derzeit die Welt in Atem. Die Entwicklungen rund um die Ausbreitung und die damit verbundene Untersuchung der Krankheitsverläufe und Todesfälle ist seit einigen Wochen in den Nachrichten. Für die einen ist sie längst bittere Realität, ob durch Todesfälle, eigene Erkrankung oder durch das Arbeiten mit den Erkrankten. Für die anderen kann es nicht schnell genug gehen ihren Alltag wiederzugewinnen.

Was hat das denn mit dem Klima zu tun?

Zunächst kann man mit Freude feststellen, dass die Politik in der Lage ist drastische Entscheidungen zu treffen – hier allerdings nur mit Blick auf baldige Lockerungen.Beim Klimaschutz muss das nachhaltiger sein, da gibt es keine Lockerungen… Auch die schon kurzfristigen Effekte auf die Natur sind erstaunlich. So zeigt sich die Luftverbesserung in Wuhan und Umgebung sogar auf den Satellitenbildern der Nasa. (https://earthobservatory.nasa.gov/images/146362/airborne-nitrogen-dioxide-plummets-over-china).
Aber darum soll es heute nicht gehen, sondern um die psychologischen Effekte, die sich bei der Nachrichtenberichterstattung und im eigenen Erleben abzeichnen. Ich habe mich gefragt, warum ich so lange gebraucht habe, um zu erkennen, dass da ein Klimawandel ist und warum dieses Thema auch bei mir immer wieder in den Hintergrund gerät. Das selbe ist mir auch beim Coronavirus passiert – zum Glück ohne schwerwiegende Folgen und in einem wesentlich kürzeren Zeithorizont. Auf ein paar Effekte möchte ich heute mal eingehen.

Distanz

Einerseits, schien mir das Problem einfach „weit weg“. Covid-19 ist in China, das ist weit weg. Es ist in Italien, das ist immer noch weit weg. Erst mit den ersten Krankenhausüberlaufbildern aus Norditalien und den Bildern von Urlaubsrückkehrern wurde mir klar, dass auch mich das betrifft.
Bei der Klimakrise ist es ganz ähnlich. Örtlich betrachtet, trifft es Deutschland verhältnismäßig spät. Klar gibt es auch hier schon deutliche Auswirkungen wie Waldsterben, Rückgang der Artenvielfalt und versiegende Wasserquellen. Aber für meinen Alltag hatte das bisher wenig Konsequenzen. Währenddessen gibt es in anderen Teilen der Welt bereits heftige Wetterphänomene wie langanhaltende Dürreperioden oder starke Überschwemmungen.
Auch zeitlich ist es weit weg – 2100 klingt nicht dringend genug um direkt zu handeln. Aber wenn man es näher betrachtet, werden die Auswirkungen schon vorher da sein. Wir übergeben den folgenden Generationen, also auch unseren eigenen Kindern und Enkeln diese Probleme und sie werden weniger bis keinen Handlungsspielraum haben, um daran etwas zu ändern.

Doom-and-gloom Szenario

Zurück zu Covid-19. Die Berichterstattung über die Erkrankten und Toten macht einen sehr betroffen und hilflos. Überlaufende Krankenhäuser und Ärzte, die über Leben und Tod entscheiden – solche Gedanken schiebt man ganz automatisch weit von sich weg.
Bei der Klimaberichterstattung kann man das ebenfalls beobachten. Die gewählte Geschichte ist immer höchst dramatisch: Überschwemmungen, ausgetrocknete Böden, Eisbären auf einzelnen Schollen. Man fühlt sich, sofern man das zulässt, sicherlich ebenfalls betroffen, aber eben auch hilflos. Was kann ich als Einzelner schon tun, um das zu stoppen oder gar wieder rückgängig zu machen? Bei Covid-19 ist es einfach – Abstand halten und zu Hause bleiben. Beim Klimawandel ist es natürlich komplexer.
Eine gemeinsame Antwort darauf ist aber einfach. Werde Teil einer größeren Menge und werde aktiv. Bei Covid-19: bleib zu Hause! Beim Klimawandel: Unterschreibe Petitionen, geh auf die Straße, setze dir für dein Privatleben konkrete Ziele und rede über den Klimawandel und Lösungsansätze!

Innerer Widerspruch

Menschen haben einen inneren Widerspruch zwischen Wissen um ihren Einfluss auf den Klimawandel und Handeln. Der Alltag ist stressig – wie soll ich aufs Auto verzichten? Wie soll ich den Kindern erklären, dass wir nicht in den Urlaub fliegen, wie kann ich weniger Energie verbrauchen, wenn alles technologisiert wird? Mist, ich hab schon wieder die Obstnetze vergessen und heute gibt es auch keinen losen Kartoffeln – soll ich jetzt den abgepackten Sack kaufen oder in den nächsten Laden gehen?
Ebenso ist es bei Covid-19. Klar, mal 4 Wochen mit der Familie zu Hause bleiben, das mag gehen. Aber schnell stellen sich für die einen existenzielle Fragen wie den Lebensunterhalt bestreiten – für die anderen eher Bequemlichkeitsfragen wie: Wann gehen die Kindern endlich wieder in die Einrichtung? Wann kann ich meine Freunde endlich wieder sehen?
Eine Strategie, die dabei oft verwendet wird ist auf andere zu zeigen. Die Chinesen oder Amerikaner sollen doch erstmal was ändern. Der Nachbar fährt einen großen SUV, da fällt mein Kleinwagen kaum ins Gewicht. Ich kenne viele Leute, die mehr fliegen – also mache ich es doch schon richtiger. Mit dieser oft gewählten Strategie kommt man leider nicht gut voran.

Zweifel

Da ist natürlich immer auch der Zweifel, ob es sich um Fake News handelt. Das kam bei Covid-19 auch auf und kursiert zum Teil auch noch. Aber man kann es schlecht leugnen, weil man eben konkret nachweisen kann, dass es sich um diese Erkrankung handelt.
Beim Klimawandel ist das schwerer. Es gibt nach wie vor Wissenschaftler, die etwas anderes behaupten. Jedoch ist das ein verschwindend geringer Anteil, der zum Teil auch aus ganz anderen Themengebieten kommt und nicht aus der Klimaforschung oder ähnlichem. Zudem kennt nicht jeder den wissenschaftlichen Arbeitsprozess, bei dem Kritik normal ist und dem Fortschritt dient und bei dem 95% ige Sicherheit schon sehr, sehr sicher ist.

Die eigene Identität schützen

Dass wir Dinge leugnen, die uns und unser Leben in Frage stellen, ist normal und eine Art uns selbst zu beschützen. Menschen identifizieren sich mit bestimmten Werten suchen normalerweise nach Bestätigung ihrer Vorstellungen und filtern weg, was immer diese herausfordert, so auch Kritikpunkte an ihrem Lebensstil.
Bei Covid-19 fühlt sich der ein oder andere in Sicherheit, weil er jung und ohne Vorerkrankungen ist. Doch erstens ist ein milder Verlauf dadurch nicht gesichert, nur wahrscheinlicher. Und zweitens ist er für alle anderen gefährlicher, wenn er leichtsinnig wird und es ok findet, sich mit nur ein paar Freunden zu treffen, das Kind mit nur ein paar anderen Kinder spielen zu lassen und die Großeltern nur mal kurz zu besuchen.
Beim Klimawandel ist es ganz ähnllich. Es ist schwer uns ein Leben vorzustellen ohne Auto, Fernreisen, in dem wir auf Ressourcen achten und im Einklang mit der Natur leben.

Zuschauereffekt (Passive Bystander Effect)

Der Zuschauereffekt besagt, dass wir warten, dass jemand anders handelt. Wir warten, dass alle Staaten mitziehen. Wir warten, dass alle ihr Auto stehen lassen und mit der Bahn fahren. Wir warten und warten und warten. Das wird so aber alles nicht passieren.
Bei Covid-19 haben wir auch gewartet. Wir sind ins Restaurant gegangen, wir haben uns mit Freunden getroffen, wir haben eigentlich nichts geändert trotz der Bilder aus Wuhan und Norditalien. Der Vorteil an der jetzigen Situation ist m.E. nach lediglich, dass sie so akut gefährdend ist, dass die Politik nicht anders konnte als alle zum einheitlichen Handeln zu zwingen. Beim Klimawandel haben wir das leider nicht und wenn es akut wird, wird es zu spät sein noch viel zu ändern.

Single Action Bias

Es gibt aber auch den Effekt, dass wir glauben, dass wir uns mit vereinzelten klimafreundlichen Handlungen freikaufen, z.B. fahren wir mit dem Zug in den Urlaub, aber sonst das ganze Jahr mit dem Auto zur Arbeit.
Ähnlich ist es bei der jetzigen Krise. Viele hoffen auf Lockerungen und denken sie haben sich mit ein paar Wochen Lock-Down vom Ausmaß der Krise freigekauft. Die Entwicklungen werden zeigen, ob das tatsächlich so ist. Viele werden angesteckt werden und herausfinden, was es bedeutet an Covid-19 zu erkranken.

Weitere Herausforderungen

Die Reichen können sich anpassen. Sie leben in Gebieten, in denen die gesundheitliche Versorgung besser ist, sie werden in Krankenhäusern bevorzugt behandelt (z.B. weil sie überhaupt eine Versicherung haben) und sie können sich im Zweifel auch medizinische Hilfe kaufen. Arme Menschen können das nicht.
Ebenso ist das bei der Klimakrise. Reiche Menschen können sich anpassen. Gegen die Hitze kaufen sie Klimaanlagen. Gegen die Ernteeinbrüche in dem einen Land können sie einfach Erträge aus anderen Ländern kaufen oder den teureren Preis bezahlen, der mit Verknappung einhergeht. Letztlich können sie auch umziehen. Das können arme Menschen alles nicht so einfach.
Ich stelle in vielen Unterhaltungen fest, dass es in unserer Gesellschaft als unhöflich gilt über kritische Themen zu sprechen schon gar nicht stundenfüllend. Man spricht nicht über Triage oder Massengräber. Man spricht nicht über Dürre und Hungersnöte. Das ist wohl zu unbequem. Letztlich haben die Menschen eine begrenzte Kapazität für Sorgenthemen. Sie schauen auf das, was für sie selbst das nächste Problem ist. Das Kind nervt, ich muss meine Stunden auf Arbeit schaffen, die Steuererklärung ist überfällig, meine Haare sind zu lang. Da können „negative“ Weltthemen nicht dazwischen kommen.

Unterschiede

Anders und deshalb ungleich schwieriger macht die Klimakrise noch folgende Probleme. Sie ist nicht für alle gleichermaßen sichtbar und so komplex, dass man nicht alle Kausalketten versteht. Es gibt auch keine Präzedenzfälle, an denen man sich und sein Handeln ausrichten kann. Anders als bei der nur 14-tägigen Inkubationszeit beim Virus, sind die Auswirkungen der Klimakrise nicht sofort da, sondern wachsen über die Zeit an.

Jedem von uns passieren die genannten Effekte. Es ist gut, wenn man sie bei sich erkennt und ihnen mutig entgegentritt. In diesem Sinne: Stay alert – stay alive =)

Quellen:

https://www.klimafakten.de/meldung/erdulden-kaempfen-schlafen-so-steuert-uns-die-psyche-der-klimakrise-heldentaten-bleiben